Schul-„Arbeit“ mal anders – ist Spielen denn Lernen?
Seit Neuestem bin ich also hilflose Mama von zwei Schulkindern. Wo vorher nur eine Brotdose, eine Trinkflasche und ein Schulranzen standen, tummelt sich seit Lottas Einschulung alles in doppelter Ausführung.
Und wie zig Millionen andere Mütter stehe ich täglich vor der Schule, um meine nunmehr zwei Kinder abzuholen. Natürlich hocherwartungsvoll und angemessen aufgeregt, immer mit einem Auge in Richtung der Schultüre, während ich mit anderen ebenso aufgeregten Müttern über Hausschuhe, Schulhefte und Aufstehzeiten schwatze.
Es dauert nicht lange, da fliegt mir meine energiegeladene Erstklässlerin mit einem fröhlichen „Mamaaaaa!“ in die Arme, während mir ein Neunjähriger mit einem trockenen „Hallo“ seinen Ranzen in die Hand drückt und zum Fußballspielen mit den Kumpels verschwindet.
Als gute Mama jongliere ich selbstverständlich zwei Ranzen, mehrere Jacken und Mützen, die eigene Handtasche und sämtliche gebastelten Werke des Tages unfallfrei zum Auto. Während der Nachwuchs sich routiniert auf den hinteren Sitzen anschnallt – selbständige Kinder sind wirklich ein Segen – , stelle ich, wie zig Millionen andere Mütter um diese Uhrzeit dem kleinen Kind die entscheidende Frage des Tages: „Und? Was habt ihr denn heute gemacht?“
Strahlend ertönt die Antwort des Tages: „Ich habe heute ganz viel mit Julian gespielt, Mama!“ Ich schlucke und die Nackenhaare wollen sich unbedingt in die Senkrechte begeben. Wir schicken doch nicht ernsthaft das Kind in die Schule, damit sie den ganzen Tag mit egal wem spielt? Sie soll doch etwas lernen, auf das harte Leben da draußen vorbereitet werden und gut ausgebildet sein, damit sie es später besser hat?!
Vorsichtig frage ich nach: „Was hast du denn mit Julian gespielt, Schatz?“
„Also Mama, ich habe mit Julian mit dem Zahlenbrett gespielt, das hat richtig Spaß gemacht“, antwortet der kleine Schatz mit roten Wangen. Zahlenbrett klingt doch schon einmal sehr gut, das klingt so, als hätte sie etwas gelernt. Und während sie fröhlich weiter erzählt, geht mein Nucleus Pädagogicus aufatmend gedanklich auf Reisen.
So soll das doch eigentlich sein, oder? Die „Arbeit“ mit Zahlen ist für mein Kind ein Spiel und natürlich weiß ich inzwischen auch, dass Lerninhalte sich wesentlich besser festigen, wenn sie mit emotional positiven Erfahrungen verknüpft sind. Und selbstverständlich ist mir ebenfalls bekannt, dass Kinder von Kindern am besten lernen – das hat sich in der Realität schon oft genug bewahrheitet. Den Blödsinn vom großen Bruder hatte Lotta sich schon abgeschaut, da konnte sie noch nicht einmal richtig sprechen.
Hatten wir nicht bewusst die Entscheidung getroffen, auf den natürlichen Lerndrang und eine fördernde Umgebung zu setzen, bei unserer Schulwahl? Hatte uns nicht die Freie Schule für lebendiges Lernen genau deshalb so begeistert, weil „frei“ und „lebendig“ genau das waren, was wir uns für unsere Kinder gewünscht hatten?
Mein Magen grummelt – nicht vor Hunger, sondern vor Skepsis. Ein Teil meines Hirns protestiert und behauptet, dass Lernen rein gar nichts mit Spielen zu tun hat und malt mir düstere Zukunftsbilder von zwei Schulversagern, die es zu nichts bringen werden.
Am Nachmittag staune ich nicht schlecht, als meine kleine Erstklässlerin ihr Taschengeld nicht nur zählt, sondern korrekt zusammenrechnet. Im Zahlenraum bis zwanzig, fehlerfrei, nach einer Woche Schule. Und während mein Sohn freiwillig mit mir Schreibübungen absolviert, sitzt die Sechsjährige mit uns am Tisch und schreibt besser als ich es je erwartet hätte Namen, Personen und alles was sie sonst noch kann mit ernster Miene auf sämtliche Papiere, die sie finden kann. Und wieder atmet ein Teil von mir erleichtert auf. Es scheint ja doch zu klappen, der Plan scheint aufzugehen.
Die andere Hälfte von mir lacht inzwischen schon schallend über den Zweifler in mir. Da sitzt doch der lebende Beweis, mein großer Neunjähriger und jetzt schon Viertklässler direkt neben mir.
Seit drei Jahren frage ich – wie Millionen andere Mütter – jeden Tag: „Und, was habt ihr heute gemacht?“. Drei Jahre lang war die Antwort konsequent: „Nix.“ Mit vielen Tricks meinerseits und erheblichem Winden seinerseits konnte ich Julian dann doch ab und an das eine oder andere Detail entlocken.
Vor allem, wenn mal wieder im Atelier eine besonders tolle Arbeit gemacht worden war. Dann kam sowas heraus wie: „Wir haben heute Kekse gebacken.“ Prima. Zum Kekse backen schicke ich mein Kind also in die Schule? Es hat tatsächlich eine Weile gedauert, bis ich gelernt hatte, dass mein Kind beim Kekse backen rechnen, schreiben und lesen gelernt hatte. Er hatte gelernt, was Liter, Milliliter, Gramm und Kilogramm sind. Er hatte gelernt, die Uhr zu lesen und konnte plötzlich schwierige Wörter lesen, weil sie eben einfach im Keksrezept gestanden hatten.
Inzwischen bin ich eine glückliche und vertrauensvolle Mama zweier Schulkinder. Mit dem Alltag bin ich immer noch überfordert, denn zwei Brotdosen sind einfach doppelt so viele wie eine.
Aber das Vertrauen in die Fähigkeit meiner Kinder, spielerisch zu lernen und zwar weit mehr als mit Druck und Stress, das habe ich längst gewonnen.
Das Vertrauen in die Pädagogen, die unsere Kinder durch Zahlenbretter, Wörterdosen und Nagelbretter gepaart mit Sandbuchstaben führen, habe ich schon tausend Mal bestätigt bekommen. Und die Begeisterung, dass unsere Kinder gesehen werden, dass sie ihren eigenen Lernweg finden dürfen und dass sie wirklich mit allen Sinnen lernen können, die hat schon längst unsere ganze Familie erfasst.
Und so ist es bei uns daheim ein oft gehörter Satz: „Mama, wann sind die Ferien endlich zu Ende, wann kann ich wieder in die Schule?“
Unser Schulleben, die Eltern und Lehrer und die Stimmung in unserer Schule könnt ihr gerne am 16.10.2022 ab 13 Uhr in der Freien Schule für lebendiges Lernen in der Waldorfer Straße 96 in Altenriet beschnuppern. Wir freuen uns auf viele neugierige Eltern und Kinder bei unserem fröhlichen Tag der Offenen Tür. Es wird bewirtet, es wird gespielt und gebastelt. Und natürlich gibt es noch die Schulführung sowie viele Möglichkeiten, alle Fragen loszuwerden und mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Wir freuen uns auf einen wunderschönen Tag und euren Besuch!