Lebendiges Lernen

Lebendiges Lernen – was ist das eigentlich? Diese Frage stellen sich womöglich viele Besucher. Oft wird der Begriff klarer, wenn Eltern an unserer Schule hospitieren und direkt erleben können, wie unsere Kinder arbeiten und wie wir Unterricht, Bildung und Gemeinschaft gestalten.

Da Sie unseren Schulbetrieb noch nicht kennen, laden wir Sie ein, uns auf eine kleine Reise zu folgen. Gehen Sie mit uns zusammen einen etwas anderen Weg der Annäherung an „Lebendiges Lernen“. Beginnen möchten wir mit einer kleinen Fabel:

Es war einmal ein schöner Sommertag. Eine große Wiese erstreckte sich am Rande eines Waldes. Auf dieser Wiese lebte eine Schnecke. Sie kroch den ganzen Tag über dahin und dorthin, wo es ihr gefiel. Mal auf einen kleinen Grasstängel, mal zu einem Löwenzahn, fraß ein frisches Blümlein hier, ein kleines Blättchen dort, oder verzog sich zum Ausruhen in ihr Schneckenhaus.

Auch unsere Kinder haben im Schulalltag diese Freiheiten. In den Freiarbeitszeiten arbeiten sie selbstständig und eigenverantwortlich. Weiterhin haben die Kinder die Möglichkeit mit allen Sinnen zu lernen, Sachverhalte anhand von Montessori-Material wirklich zu begreifen und unterschiedliche Themen in Relation zueinander zu setzen. Sie begegnen den Themen und Sachverhalten unmittelbar tätig.

Die Schnecke war ganz begeistert von den vielen Farben und Formen und auch von den Tieren, die sie täglich kennen lernte und hielt hin und wieder ein Pläuschchen mit ihnen. Besonders fasziniert war die Schnecke von den Bienen, die den lieben langen Tag emsig von Blüte zu Blüte flogen um Nektar zu sammeln. Doch sie verstand schnell, dass die Bienen nicht aus freien Stücken so fleißig waren. Sie mussten sich umeinander kümmern und hatten dafür Sorge zu tragen, dass das Volk den Winter überleben würde. Nur wenn alle gemeinsam zusammen hielten und zusammen arbeiteten, würde dieses Vorhaben gelingen.

Im Kontrast zu den freien Lernzeiten, erfahren die Kinder auch angeleitete Phasen. Die Kinder werden auf ihrem Lernweg nicht alleine gelassen. Der Pädagoge handelt prinzipiell als Begleiter der Kinder, der die richtigen Impulse gibt, Angebote an Materialien unterbreitet oder neue Lernbereiche anregt. Hinzu kommen Unterrichts-Kurse in leistungshomogenen Jahrgangs-Gruppen, die vom Lehrer angeleitet werden.

Eines Tages lief der Schnecke der schnelle und gewitzte Hase über den Weg. Der Hase begrüßte die Schnecke und wunderte sich über dieses seltsame Tier. Erstaunt sah er ihr einige  Zeit zu, mit welcher Ruhe und Langsamkeit die Schnecke alles tat. Ob sie wohl immer so langsam war, oder konnte sie auch etwas so schnell machen wie er selbst?

Lernen ohne Noten ist ein wichtiger Bestandteil unserer Pädagogik. Kinder sollen sich auf ihre eigenen Leistungen, ihre eigenen Fähigkeiten konzentrieren, nicht auf den Vergleich mit anderen. Die Kinder erfahren keine Abwertung, indem sie schlechter sind, als der Freund. Sie sind richtig, so wie sie sind, denn sie haben sich doch bemüht so gut es ging!
Der Leistungsstand des Kindes wird den Eltern anhand eines ausführlichen Jahresberichtes angezeigt, in dem die einzelnen Entwicklungsschritte des Kindes genau beschrieben werden.

Da hatte der Hase plötzlich eine Idee. Er sprach die Schnecke an und fragte: „Hey du! Sag mal bist du immer so langsam?“ Die Schnecke hob ihren Blick und antwortete: „Nein, ich kann auch schnell sein, wenn ich möchte.“
Da war das Interesse des Hasen geweckt. Er wollte seine Kräfte mit denen der Schnecke messen und forderte sie auf: „Lass uns ein Wettrennen machen! Wer als erster am Waldrand angekommen ist, hat gewonnen.“ Die Schnecke sah zum Waldrand und fand, dass es wahrlich eine lange Strecke sei, willigte aber trotzdem ein.

Durch Interesse-geleitetes Lernen haben die Kinder die Möglichkeit ihren individuellen Bedürfnissen nachzugehen. Diese werden als konkrete Ziele gesetzt, dürfen sich aber auch während des Schulalltags frei entfalten. Wir nehmen Rücksicht auf veränderte Umgebungen im familiären oder privaten Bereich der Kinder und betten sie in den Schulalltag ein.

Gemeinsam starteten die beiden ungleichen Wettkämpfer. Der Hase stürmte voran. Mit seinen starken Hinterfüßen und dem langen Körper legte er die Strecke in kürzester Zeit zurück. Auch die Schnecke legte sich ins Zeug. Mit großer Anstrengung kroch sie, so schnell es ihr Körper vermochte. Sie hatte kaum 10 cm zurückgelegt, da rief es aus dem Halbdunkel des Waldrandes:  „Ich bin schon da!“

Wir nehmen die Unterschiede unserer Kinder wahr und arbeiten individuell.
Das bedeutet: jedes Kind bekommt einen für seinen Leistungsstand, seine Fähigkeiten und Interessen ausgerichteten Lernplan. In enger Zusammenarbeit mit dem Pädagogen werden im 14-tägigen Turnus Entwicklungsgespräche geführt, in dessen Rahmen auch neue Ziele festgesetzt werden können.

Doch damit ist unsere Geschichte noch nicht zu Ende!

Während der Hase am Waldrand saß, bis die Schnecke wohl ankommen würde, wurde ihm das Warten leid. Sein Erfolg stieg ihm zu Kopf und ihm kam die wahnwitzige Idee, dass er  versuchen könnte, noch schneller zu laufen. So wollte er der Schnecke, sollte sie denn bald erscheinen, zeigen, wie schnell er geworden war.

Gesagt getan. Der Hase startete verbissen am Waldrand seine Runden zu drehen, während die Schnecke weiterhin, ihrem Tempo gemäß dem Waldrand näher kroch. Sie sah den Hasen bei seinen seltsamen Übungen nicht und tat, so gut sie konnte. Dabei hatte sie viel Zeit und Muße sich umzusehen und zahlreiche Geheimnisse und Wunder kennen zu lernen, von denen sie zuvor noch nie etwas gehört oder gesehen hatte.

Unsere Pädagogik verzichtet grundsätzlich auf Hausaufgaben. Kann sich das Kind während der Schulzeit vertieft auf die ihm gestellten Aufgaben einlassen, erfährt es hierdurch einen weit effektiveren Lernprozess, als es durch fortgesetztes Üben und Bearbeiten von Arbeitsblättern möglich wäre. Somit verliert die Idee „Hausaufgabe“ an Bedeutung.

Nach geraumer Zeit brach der Hase am Waldrand erschöpft zusammen. Das ununterbrochene Laufen hatte ihn an die Grenzen seiner körperlichen Kräfte gebracht. Er benötigte nun dringend eine Pause.
Währenddessen traf unsere Schnecke auf einen Vogel, der an einigen Samen herumpickte. Dieser war ganz erstaunt, denn er hatte zuvor noch nie ein solch wunderliches Tier gesehen.
„Wer bist du?“, fragte der Vogel. „Ich bin eine Schnecke!“, antwortete diese. Und da der Vogel so überrascht von diesem Tierchen ohne Füße, ohne Schnabel, ohne Federn und ohne Flügel war, kamen sie schnell ins Gespräch. Als der Vogel hörte, dass die Schnecke immer nur am Boden kroch, wurde ihm ganz wehmütig ums Herz. „Das heißt, du weißt überhaupt nicht, wie die Wiese, der Waldrand – einfach alles – von oben aussieht? Du weißt also gar nicht, wie es sich anfühlt, wenn der Wind durch das Gesicht streift bei einem tollkühnen Sturzflug, wie es sich anfühlt in den Sonnenuntergang zu fliegen und noch die letzten Strahlen seinen Körper wärmen zu lassen?“ „Nein!“ antwortete die Schnecke. „Sag mal, vermisst du das denn gar nicht?“ „Nein“ antwortete die Schnecke wiederum. Wie sollte sie denn auch? Wie kann man etwas vermissen, was man gar nicht kennt?“
Doch der Wissensdurst der Schnecke war wieder entfacht. Sie wollte gerne erfahren wie sich all dies Wunderbare anfühlte. Das brachte die beiden ungleichen Gefährten auf eine Idee. Vorsichtig nahm der Vogel das Schnecklein in seine Füße und hielt es behutsam mit den Krallen fest.
Mit starken Flügelschlägen erhob sich der Vogel in die Lüfte, die Gräser und Blätter kitzelten das Schnecklein an ihrem Bauch und plötzlich hatten sie die Wiese unter sich gelassen. Sie erhoben sich höher und höher und die kleine Schnecke stieß Jauchzer der Freude aus.
Alles unter ihr wurde kleiner und kleiner. Da sah sie auch den Hasen, der sich seine wohl verdiente Pause am schattigen Waldrand gönnte. Voller Glückseligkeit winkte sie dem Hasen zu und lachte dabei laut. Der Hase erkannte sie und war so erstaunt über eine Schnecke, die fliegen konnte, dass es ihm für einen Moment die Sprache verschlug.
Dann begann auch er lauthals zu lachen, so sehr freute er sich für unsere kleine Schnecke. Glücklich begab er sich auf den Weg nach Hause.

Dieses Bild ging dem Hasen sein Lebtag nicht mehr aus dem Kopf. Bis zuletzt erzählte er allen, die es hören wollten, die Geschichte von der Schnecke, der Flügel gewachsen waren.

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